Eine bundesweite Bestandsaufnahme

Dass wissenschaftlicher und technischer Fortschritt unmittelbar etwas mit der Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse zu tun haben, kann als allgemein zustimmungsfähige These gelten. Dass eine in dieser Hinsicht hoch entwickelte Gesellschaft wie die deutsche auch ein hinreichendes Bewusstsein von der Bedingtheit ihres eigenen Wohlstandes hat, darf dagegen als weitaus weniger sicher eingeschätzt werden. Zwar fehlt es nicht an öffentlicher Aufmerksamkeit und zumindest behaupteter Wertschätzung, eine echte Aufgeschlossenheit gegenüber wissenschaftlich-technischen Entwicklungen geht damit aber nicht zwangsläufig einher. Vor allem folgt daraus zu selten die Bereitschaft, sich für eine Ausbildung oder ein Studium in den MINT-Fächern zu entscheiden.

MINT Standorte in Deutschland

Immerhin hat der akut zunehmende Mangel an qualifizierten Fachkräften und Akademikern in den naturwissenschaftlichtechnischen Berufen das Thema MINT-Bildung inzwischen auf der politischen Agenda nach oben getragen. Und ganz aktuell hat dieses Feld auch eine Stimme bekommen: Im 2012 gegründeten Nationalen MINT Forum haben sich 24 überregional tätige Organisationen- Stiftungen, Wissenschaftseinrichtungen, Fachverbände, Hochschulallianzen und andere Initiativenzusammengeschlossen. Gemeinsam setzen sie sich für eine kontinuierliche, alle Lebensphasen übergreifende MINT-Bildung ein. Das ist angesichts einer Vielzahl von »offenen Baustellen« auf allen Ebenen des Bildungssystems, angesichts breit gefächerter politischer Zuständigkeiten in Bund, Ländern und Kommunen und einer vielfältig ausdifferenzierten Projektlandschaft keine kleine Aufgabe. Im Kern bedeutet das, entlang der gesamten Bildungskette und vor allem auch flächendeckend an der Qualität von Bildungsangeboten im MINT-Feld zu arbeiten und diese sinnvoll zu koordinieren.

Ein zentraler strategischer Ansatzpunkt dafür liegt in der Einsicht, dass MINT-Bildung dann besonders erfolgreich ist, wenn sie regional organisiert wird, d.h., wenn sie passgenau auf die Gegebenheiten und Bedarfe der jeweiligen Region zugeschnitten ist. In einem föderalen Gemeinwesen lassen sich Bildungsaufgaben ohnehin nur dezentral lösen, und im Falle der MINTBildung gibt es dafür weitere gute Gründe. Denn Praxisbezug und Anschaulichkeit in den vermeintlich trockenen und schwierigen naturwissenschaftlichen Fächern erfordern authentische Erfahrungsmöglichkeiten vor Ort, die Firma und das Forschungsinstitut »um die Ecke«. Darüber hinaus sind regionale Angebote auch für den Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte wichtig: Bildung und Weiterbildung vor Ort machen Regionen attraktiv und verhindern Abwanderung.

Bedingung dafür sind tragfähige Netzwerkstrukturen vor Ort: Die von allen Seiten gewünschte Verzahnung schulischer und außerschulischer Bildungsangebote kann nur regional und unter Beteiligung aller Akteure sinnvoll hergestellt werden. Schon die Analyse von Stärken und Schwächen einer Region wie auch die Bedarfsanalyse erfordern deren »Ortskenntnis«. Erst recht gilt dies für die Entwicklung und Umsetzung neuer Maßnahmen: Um ein abgestimmtes, bedarfsgerechtes Angebot aufzubauen, müssen Bildungseinrichtungen, Forschungsinstitute, Unternehmen, Verbände, Stiftungen, Vereine, Kommunen und Kreise an einem Strang ziehen.

Und schließlich: Die Initiativen vor Ort brauchen Unterstützung von Ländern und Kommunen. Um funktionierende und stabile Bildungsnetzwerke vor Ort zu schaffen, ist über eine Initialzündung hinaus der Aufbau einer verlässlichen Organisationsstruktur erforderlich. So unterschiedlich diese im konkreten Fall auch sein mag, so zentral ist doch die prinzipielle Unterstützung durch Politik und Verwaltung. Die Einrichtung von lokalen Koordinationsstellen kann hierbei ebenso förderlich wirken wie die Unterstützung durch kommunale oder landesweite Programme.

Erfreulicherweise haben sich auf der Suche nach neuen innovativen Konzepten in den letzten Jahren - über ganz Deutschland verteilt- solche regionalen Netzwerke bereits gegründet. Aber wie so oft entwickelt sich eine gute Idee an vielen Orten gleichzeitig und auch unabhängig voneinander. Und es steht sogar zu befürchten, dass die Protagonisten dieser Idee nicht einmal voneinander wissen. Eine Arbeitsgruppe des Nationalen MINT Forums unter der Federführung der Körber-Stiftung und unter Mitarbeit von acatech, Deutsche Telekom Stiftung, Gesamtmetall, Joachim Herz Stiftung, MINT Zukunft schaffen e.V. und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft befasst sich deshalb sehr intensiv mit den Chancen regionaler Netzwerke für die MINT-Bildung. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, in einem ersten Schritt in einer Bestandsaufnahme zu sammeln, was es an Initiative in Deutschland auf diesem Feld bereits gibt. Mit der Darstellung von knapp 40 MINTRegionen bundesweit liefert die vorliegende Dokumentation ein erstes Zwischenergebnis. Den Vertretern dieser Regionen, ohne deren Mitwirkung dies nicht möglich gewesen wäre, möchten wir an dieser Stelle ganz ausdrücklich danken.


Idee und Herangehensweise

Wo in Deutschland sind regionale Netzwerke für die MINT-Bildung bereits aktiv? Welche und wie viele Akteure sind beteiligt und wie haben sie sich organisiert? Wann haben sich die Netzwerke gegründet und welche Ziele verfolgen sie? Um einen Überblick über bereits bestehende MINT-Regionen in Deutschland zu erhalten, hat die Körber-Stiftung Hinweise aus der Arbeitsgruppe gesammelt und zusätzlich eine OnlineRecherche durchgeführt. Insgesamt wurden 64 potenzielle MINT-Regionen identifiziert, angeschrieben und gebeten, an einer kurzen Online-Befragung teilzunehmen.

Bis zum 1. März 2013 haben 39 MINT-Regionen den OnlineFragebogen ausgefüllt. Das entspricht einer Rücklaufquote von 61%. Sie alle werden in der vorliegenden Dokumentation vorgestellt. Da es sicher eine Reihe von Netzwerken gibt, die bislang nicht erfasst werden konnten, wird die Recherche fortgesetzt und die Bestandsaufnahme fortlaufend ergänzt. Über Hinweise auf noch nicht berücksichtigte Netzwerke und ihre Ansprechpartner freuen wir uns!

Ergebnisse und Auswertung

Die statistische Auswertung der Online-Befragung ergibt folgendes Bild: Schulen sind an fast allen der befragten Netzwerke beteiligt- ihre Anzahl schwankt zwischen drei und 200. Mindestens eine (bis maximal sieben) Hochschulen sind immerhin noch bei 80 % der regionalen Zusammenschlüsse vertreten. Die Zahl der beteiligten Kindertagesstätten reicht von einer bis 450, mit an Bord sind sie in 64 % aller Fälle.

Unternehmen - von zwei bis 70 - sind ebenfalls in fast allen Netzwerken vertreten, nämlich in 95 %. Bringt man die anderen, zahlenmäßig nicht näher bezifferten Akteure in eine Rangfolge, stehen ganz oben Behörden mit einer Beteiligung von 95%, gefolgt von Verbänden (82%)und Stiftungen (66%).

Beteiligte Akteure

Die flächendeckende und zahlenmäßig starke Beteiligung von Bildungseinrichtungen (von der Kita bis zur Hochschule) auf der einen und von Unternehmen und (Wirtschafts-)Verbänden auf der anderen Seite gibt einen ersten Hinweis auf die Zielsetzungen der erfassten MINT-Regionen. Die Auswertung weiterer zugänglicher Informationsquellen (Internetseiten, schriftliche Vereinbarungen, Vereinssatzungen, Info-Flyer, Pressemitteilungen etc.) hat bestätigt, dass neben den geradezu selbstverständlichen Zielen eines regionalen MINT-Netzwerks (»Schüler für MINT begeistern« und »Akteure vernetzen und Aktivitäten koordinieren<<) in den meisten Fällen das zentrale Interesse darin besteht, den regionalen Fachkräftenachwuchs zu sichern und Berufs- und Studienorientierung zu bieten, z.B.

Die meisten Initiativen wollen die im MINT-Bereich bereits bestehenden Angebote zugänglicher machen, besser aufeinander abstimmen und um neue Angebote ergänzen. Die Zielgruppe sind klar Schülerinnen und Schüler; um eine verbesserte Hochschulbildung in den MINT-Fächern geht es in der Regel nicht. Vereinzelt werden als Handlungsfeld die Lehrerfortbildung oder auch die spezifische Mädchenförderung genannt.

Gründungsjahr

29 von 39 befragten MINT-Regionen (74%) wurden im Jahr 2009ff. gegründet. Mögliche Gründe für diese Konjunktur könnten das gestiegene Bewusstsein für den drohenden bzw. bereits bestehenden Fachkräftemangel sowie für die Bedeutung des »Kommunalen Bildungsmanagements« sein. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung darauf mit zwei Initiativen reagiert: Das Ministerium für Schule und Weiterbildung treibt den Aufbau sogenannter »regionaler Bildungsnetzwerke« voran, während das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung die Initiative »Zukunft durch Innovation.NRW« gestartet hat, die die flächendeckende Einrichtung regionaler zdi-Zentren zur Förderung des techniscnaturwissenschaftlichen Nachwuchses vor Ort zum Ziel hat. Die zdi-Zentren, in denen jeweils Schulen, Hochschule(n), regionale Wirtschaft und Stadt bzw. Kreis miteinander kooperieren sollen, unterstehen dem Prinzip der Selbstträgerschaft (eine Anschubfinanzierung gibt es nur für ein Jahr). Das erste zdi-Zentrum wurde 2006 gegründet; mittlerweile gibt es 37 zdiZentren, 22 zdi-Schülerlabore an Hochschulen in NRW sowie 23 zdi-RobertaZentren.

Die oben beschriebene landespolitische Weichenstellung in Nordrhein-Westfalen erklärt die starke Bündelung von MINTRegionen in diesem Bundesland (s.Deutschlandkarte auf S. 6). Bei 14 der insgesamt 39 dort verzeichneten Netzwerke, also bei 35 %, handelt es sich um zdi-Zentren. Auf der anderen Seite fällt auf, dass in den Bundesländern Bremen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt keine einzige MINT-Region erfasst werden konnte. Falls dieser Sachverhalt nicht schlicht Recherchedefiziten geschuldet ist, wäre es interessant, den Gründen für diese geografische Ungleichverteilung nachzugehen.

Gemessen daran, dass sich die meisten MINT-Regionen erst in den letzten drei bis vier Jahren gegründet haben, ist ihr Organisationsgrad erstaunlich hoch. 30 von 39 und damit 77 % geben an, eine Geschäftsstelle zu betreiben. In 25 Netzwerken (64%) haben die Akteure eine schriftliche Kooperationsvereinbarung geschlossen, und mit 17 regionalen Zusammenschlüssen verfügt immerhin fast die Hälfte (44 %) über Projektmittel.

Organisationsgrad

Diese Zahlen belegen, dass die Akteure vor Ort ganz offensichtlich ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür haben, dass die Verständigung auf gemeinsame Ziele, die Entwicklung tragfähiger Strukturen und eine professionelle Koordination die Voraussetzung für eine erfolgreiche Netzwerkarbeit für die MINT-Bildung sind.


Fazit und Ausblick

In den Ergebnissen der Bestandsaufnahme spiegelt sich die ganze Vielfalt der bestehenden Netzwerke, die angesichts der unterschiedlichen regionalen Voraussetzungen nicht weiter überraschend ist. Zugleich erlauben die Befunde aber doch erste Rückschlüsse auf einige wesentliche Gemeinsamkeiten der erfassten Initiativen und ermöglichen so eine erste Spezifizierung des griffigen, aber auch etwas vagen Schlagworts der »MINT-Region«.

Ein zentrales Kriterium ist ganz sicher der Netzwerkcharakter: Einzelne Kooperationen, z.B. zwischen Schulen und Unternehmen, machen noch keine MINT-Region aus. Die zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass sich nach Möglichkeit alle wichtigen Akteure (in der Regel Kitas, Schulen, Hochschulen, Behörden, Verbände, Unternehmen, Stiftungen plus weitere Partner) zusammenschließen, um gemeinsam daran zu arbeiten, die vorhandenen Aktivitäten im Feld der MINT-Bildung zu koordinieren, zu verbessern, auszubauen und bekannt zu machen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist ein räumlich klar definierter Aktionsradius, der weder zu klein noch zu groß sein darf In den meisten Fällen handelt es sich um eine Stadt oder einen Landkreis. Der konkrete geografische Zuschnitt einer MINT-Region hängt allerdings von einer Reihe weiterer Faktoren ab, wie etwa Verkehrsinfrastruktur, Bevölkerungsdichte, traditionelle/gefühlte Zugehörigkeiten, Verwaltungseinheiten, gewachsene Wirtschaftsräume oder auch Hochschulstandorte.

Um sinnvoll miteinander agieren zu können, müssen sich die Netzwerke nicht zuletzt natürlich auf gemeinsame Ziele verständigen und daraus ein entsprechendes Handlungsfeld und geeignete Maßnahmen ableiten. Den erfassten Initiativen ist gemeinsam, dass sie alle sich für mehr und besser qualifizierten MINT-Nachwuchs einsetzen, in den meisten Fällen mit der Zielsetzung verbunden, damit mittel- und langfristig die von der Wirtschaft dringend benötigten Fachkräfte hervorzubringen. Im Fokus stehen die schulische und außerschulische MINT-Bildung und deren Verzahnung sowie der Übergang von Schule in Beruf bzw. Studium.

Mit der vorliegenden Bestandsaufnahme von MINT-Regionen ist ein erster wichtiger Schritt getan. Sie ermöglicht es den Netzwerldnitiatoren in ganz Deutschland, voneinander Kenntnis zu nehmen, sich zu vernetzen und auszutauschen. Diesen Prozess wird die Körber-Stiftung gemeinsam mit den Mitgliedern der AG MINT-Regionen vorantreiben und unterstützen. Denn es besteht weiterer Aufklärungsbedarf. Der unmittelbare Austausch mit den Machern wird Gelegenheit bieten, in die Tiefe zu gehen und jenseits der in dieser Dokumentation versammelten Kurzdarstellungen nach den konkreten Erfolgsfaktoren und Herausforderungen für die Netzwerkarbeit vor Ort zu fragen: Worauf kommt es in der Praxis wirldich an? Was ist erfolgreich, woran sind Initiativen vielleicht auch schon gescheitert? Auf der Grundlage einer konsolidierten Wissensbasis wird es schließlich darum gehen, die Idee der MINT-Region weiterzuverbreiten und für die politische Unterstützung durch Länder und Kommunen zu werben.

Wetter für Freising

Veranstaltungen

Authorisierter LogIn